Kleinstadtleben in der Geistercity

Datum: Mi, 25.03.2009
Veranstalter: Klagenfurt
Ort: Klagenfurt

Kleine Zeitung, 4. März 2009 | Kultur | Seite 64
EGYD GSTÄTTNER :: QUERGEDACHT

Boutique: geschlossen. Bäckerei: abgerissen. Schusterwerkstätte: geschlossen.

Ich ging in die Stadt: den Weg aus der Vorstadt ins Zentrum, immer die eine Straße entlang. Der Trafikant hatte mit Kugelschreiber auf einen karierten Zettel „Geschlossen. Danke“ geschrieben und diesen Zettel an die Innenseite der Eingangstür der Trafik geklebt. Ich brauchte bei meinen Gängen in die Stadt eine Woche, bis ich kapiert hatte, dass der Trafikant nicht Mittagspause oder Urlaub machte, sondern endgültig geschlossen hatte: Raucher waren jetzt Verbrecher. Alle Bürger waren bereits Zeitungsabonnenten. Glückspiele gab es im Internet, außerdem die Epidemie der Wettcafés: Wovon sollte der Trafikant also leben? Eine handschriftliche Zusatzinformation auf dem Zigarettenautomaten: „Automat funktioniert noch.“ So ist das ganze Leben.

Der Briefkasten an der Häuserfront ist längst abmontiert, das Hauptpostamt eine Filiale, die Schließfachanlage geschlossen, die einheimischen Clochards und ihre ostslowakischen Kollegen müssen sich samt ihren obdachlosen Säuglingen jetzt an die frische Winterluft an die Wand des Postgebäudes setzen und ihre beiden deutschen Worte an die Passanten bringen: „Entschuldigen. Helfen.“

Die kleine Boutique: geschlossen. Müll stapelt sich bereits am Gehsteig vor dem Eingang. Die Bäckerei: abgerissen. Das griechische Lokal: geschlossen. Der Chinese: geschlossen. Die Schusterwerkstätte: geschlossen. Das Fahrradgeschäft: geschlossen. Das Geschäft für Papier und Schreibwaren: geschlossen. Die Buchhandlung in der Bahnhofstraße: geschlossen. Die Buchhandlung am Hauptplatz: geschlossen.

Alle Geschäfte stehen leer oder sind zu Bars oder Dönerbuden geworden. Die Stadt ist in wenigen Jahren eine Filiale wie viele andere auch geworden, eine beliebige Filiale, in der man nur noch das bekommt, was man überall bekommt. Alles Typische, alles Charakteristische ist erbarmungslos ausgemerzt worden. Die Stadt ist verwechselbar, austauschbar und zu einer Geistercity geworden. Irgendwo am Kontinent, dessen Ziel es ist, zu einem Secondhand-Amerika zu verkommen.