Wolfgang Puschnig


WOLFGANG PUSCHNIG
„Individualität“, „Vielseitigkeit“, „Experimentierfreude“, und „Offenheit Neuem gegenüber“sind wohl neben der Selbstverständlichkeit, sein Instrument unfallfrei bedienen zu können,diejenigen Eigenschaften, die man sich idealtypischer Weise von einem Jazzmusiker wünscht. Selbst bei jemandem wie Wolfgang Puschnig, der stets nach neuen Herausforderungen sucht, scheinbar inkompatible Stile zusammenführt und regelmäßig mit eindrucksvoller Experimentierfreude aufzuzeigen weiß, ist es aber undenkbar, nach derartigen Kriterien eine Qualitäts- oder Wichtigkeits-Hierarchie erstellen zu wollen, ist es am Ende doch immer bloß ein beim Hörer hinterlassenes Gefühl, das die Faszination an der Musik ausmacht. Gerade dieses Gefühl ist es aber, warum Wolfgang Puschnig hier als einer der wohl besten, einflussreichsten und wichtigsten Jazzer – Europas im Allgemeinen und Österreichs im Besonderen – vorgestellt wird.

Geboren 1956 am Koordinatenpunkt 46° 27′ N / 14° 18′ O, oder wie der Laie sagt, „Klagenfurt“, war für Wolfgang Puschnig Kärnten, als Schnittpunk und Schmelztiegel von germanischer, slawischer und romanischer Kultur und Sprache, von Beginn an „Sozialisations-Urgrund“ und das „Substrat des musikantischen Denkens und Empfindens“. Hier stand er auch bereits von Jugend an in ständigem Kontakt mit Volksliedern, aber auch Jazz und vielen anderen Stilrichtungen. Nach ersten instrumentalen Gehversuchen mit Blockflöte und Geige und später an der Querflöte in der Folk-Jazz-Band „Sokrates Sixtinic Bongoloids“ hat sich Puschnig dann aber schon kurz nach der Matura in die Bundeshauptstadt aufgemacht, um dort unter dem Einfluss Säulenheiliger wie Charlie Parker, John Coltrane oder Miles Davis („Damals machte ich einen Ferialjob in einer Joghurtfabrik in Deutschland und hörte „Bitches Brew“ Tag und Nacht.“) seine musikalischen Entfaltungsmöglichkeiten zu suchen.

Gefunden hat er diese, nach einem kurzen und fruchtlosen Abstecher an die Hochschule für Musik zwecks Flöten-Studiums, in der Jazz-Abteilung des Konservatoriums, aber vor allem auch als umtriebiger Saxofonist in der Wiener Jazz-Szene. Eines dieser Konzerte, das er ursprünglich gemeinsam im Duo mit dem Pianisten Mathias Rüegg bestreiten sollte, kulminierte unversehens in einem vielköpfigen Ensemble, das fortan unter dem Namen „Vienna Art Orchestra“ (VAO) Ruhm und Ehre erlangen sollte. Mit über 800 Konzerten in 50 Ländern und mehr als 35 veröffentlichten Tonträgern ist das VAO heute zweifelsfrei eines der führenden europäischen Ensembles des modernen kreativen Jazz und darüber hinaus offizieller Kulturbotschafter Österreichs.

Den Durchbruch schaffte diese Big Band, die anfangs noch stark von anarchistisch- fluxusartigen Einflüssen geprägt war, mit der Aufnahme der 1979er Platte „Tango From Obango“ sowie den ersten großen Auftritten bei ausländischen Festivals in den darauf folgenden beiden Jahren. Hierbei katapultierte sich Puschnig mit jeder Menge Witz, Spielfreude und Ausdruckstärke an seinem Instrument auf die Position des führenden Saxofonisten des Orchesters, die er in Folge als zentraler Part von Mathias Rüeggs komponierten bzw. arrangierten Programmen mit Bravour auszufüllen wusste. Darunter waren auch mittlerweile legendäre Stücke wie etwa „Concerto Piccolo“(1980), „From No Time To Rag Time“(1982), „The Minimalism of Erik Satie“ (1984) oder auch „Lonely Nightride of a Saxophone Player“ (1985). Gekrönt wurde diese Schaffensperiode des Vienna Art Orchestras durch zwei Siege im Critics Poll des US-Jazzmagazins Down Beat, seines Zeichens dasjenige genrespezifische Periodikum mit der weltweit höchsten Auflage.

Zeitgleich zur Tätigkeit in der Big Band hat Wolfgang Puschnig mit einigen ihrer Mitglieder aber auch in diversen kleineren Formationen aufhorchen lassen, ganz nach dem Motto, „wenn man denn schon mal an der Quelle vielfältiger Kreativität sitzt, sollte man sich ihrer so ausgiebig wie möglich bedienen“. So fand der Saxofonist also gemeinsam mit Herbort Joos, Uli Scherer, Jürgen Wuchner und Wolfgang Reisinger eine weitere Möglichkeit, die Jazzwelt aufhorchen zu lassen und das nicht bloß vor diversen Bühnen, sondern dank zweier Platteneinspielungen auch in vielen Wohnzimmern. Ein weiteres hörenswertes Projekt dieser Zeit entstammt der Zusammenarbeit eines Quartetts, bestehend aus Wolfgang Puschnig, Lauren Newton, Woody Schabata und Mathias Rüegg mit dem Laut-Poeten Ernst Jandl, dessen Sprech- und Lautexperimenten auf diese Weise eine zusätzliche Dimension verliehen wurde. Insgesamt gingen aus dieser bis 1991 andauernden Kollaboration drei Alben hervor: „Bist Eulen?“, „Vom Vom Zum Zum“ und „Lieber ein Saxophon“.

Vor allem die Zusammenarbeit mit Wolfgang Reisinger etablierte sich als Fixpunkt und kreativer Nährboden in Puschnigs Mitt-Achtziger Schaffen. So überzeugten sie, gemeinsam mit Linda Sharrock und Wolfgang Mitterer, im Ensemble „Pat Brothers“ wie auch im Quartett mit Harry Pepl und Mike Richmond. Ganz in den Fußstapfen des Jugend-Idols John Coltrane widmete sich Puschnig in diesem Jahrzehnt auch erfolgreich diversen Duo-Formationen. Nach der frühen 70er-Jahre-Zusammenarbeit mit dem langjährigen VAO-Pianisten Uli Scherer, konnte man ab 1981 unzähligen Improvisations-Zusammentreffen Puschnigs mit Hans Koller, einer der Leitfiguren des österreichischen und europäischen Jazz, beiwohnen. Eine andere Duo-Kooperation mit Wolfgang Mitterer gipfelte dann 1986 in der experimentellen, elektroakustischen Platte „Obsooderso“. Die Experimentierfreude war schließlich wohl auch ausschlaggebend dafür, dass Wolfgang Puschnig sein Engagement im Vienna Art Orchestra zugunsten der Erforschung neuer Möglichkeiten ruhend gestellt hat. Weiterhin treu geblieben ist er allerdings der Duo-Performance, der er sich auf seinem 1988 erschienen Solo-Debüt „Pieces of a Dream“ ausgiebig widmet. Unter anderem finden sich hierauf musikalische Dialoge mit Carla Bley, Ex-Ornette-Coleman-Bassist Jamaaladeen Tacuma, Hans Koller, Linda Sharrock, Hiram Bullock und Harry Pepl. Neben diesem internationalen Anstrich stellt die erste eigene Platte aber auch das Faible für volksmusikalische Ansätze in den Vordergrund. Besonders eindrucksvoll zu hören bei seinem friedlich-melancholischen Arrangement der „heimlichen Landeshymne Kärntens“, „Is schon still uman See“. Puschnig war es letztendlich auch, der in weiterer Folge eine Vielzahl anderer österreichischer (Jazz-)Musiker dazu inspirierte, sich selbst, auf ihre Weise, mit dem eigenen regionalen Umfeld musikalisch auseinander zu setzen.

Wolfgang Puschnigs Faszination für Volksmusik äußerst sich jedoch nicht bloß ausschließlich in der Bearbeitung konkreter musikalischer Vorlagen, sondern ist eigentlich stets in seinem gesamten Schaffen präsent. „Ende der 70er Jahre kam dieses Element ganz von selbst an die Oberfläche, wobei es genau genommen keine Elemente gibt, die ich systematisch verwende, sondern es sich mehr um die Transformation eines Gefühls auf eine andere musikalische Ebene handelt. Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen. Sie ist Teil meiner Geschichte und damit Teil meines musikalischen Universums. Größtenteils handelt es sich dabei um vokale Musik, die durch den slawischen Einfluss einen gewissen Hang zur Melancholie hat. Man könnte sagen, das Charakteristische an dieser Grenzregion ist eine ganz eigenartige Mischung – etwas dem Dunklen und Schwermütigen zugeneigt, ohne aber das Lebensbejahende aufzugeben.“

Ein weiteres einschlägig Volksmusik-geprägtes Werk wurde kurz nach der Debüt-Platte, im Jahr 1991, mit dem Album „Alpine Aspects“ veröffentlicht, auf dem Puschnig die Amstettner Blasmusikkapelle mit dem Funk-Bassisten Jamaaladeen Tacuma zusammen treffen ließ. Zusammen nahm man sich der alten und oftmals auch traurigen Lieder der Heimat des Bandleaders an, die mit viel Ernst, Herz und Witz einen modernen Anstrich verpasst bekommen haben – gerade Marschtakte treffen hierbei auf schräge Jazzrhythmen. Bis heute gilt das Ergebnis dieser Aufnahmen als eine der bedeutendsten und originellsten österreichischen Jazzproduktionen überhaupt. „Die Lieder sprechen von ihrer Stimmung her ganz bestimmte grundlegende Themen an: die Liebe, die Sehnsucht, den Abschied oder das Wiederfinden. Es gibt nichts Neues zu sagen, sondern nur die essentiellen Dinge auf immer neue Art und Weise“, so Puschnig über seine Volksmusik-Bearbeitungen. „Ich möchte diese traditionelle Musik weder benutzen noch persiflieren, sondern vielmehr ihre Stimmung vermitteln, um auch anderen einen neuen Zugang zu ermöglichen. Wenn auch in manchen Stücken eine gewisse ironische Komponente durchscheint, so war dies auf keinen Fall der primäre Beweggrund meiner Arbeit. Ironie hat ja immer auch mit Abstand zu tun und genau das wollte ich ja eigentlich nicht – ganz im Gegenteil.“

Das bislang letzte auf Tonträger veröffentlichte Projekt mit explizitem Volksmusik-Bezug stammt aus dem Jahr 2002 und hört auf den Namen „3 & 4 Ob’n Unt’n / Austrian Songs“. Zur Realisierung hat sich Wolfgang Puschnig einmal mehr langjährige Weggefährten mit ins Boot geholt, wie etwa den Saxofonisten und Klarinettisten Klaus Dickbauer (Saxofour), den Trompeter und Flügelhornisten Herbert Joos (VAO, Part of Art) und den aus Paris stammenden Tuba-Spieler Michel Godard, mit dem er auch bereits das 1997er Album „Dream Weavers“ eingespielt hat. „Ich habe diese Musiker gewählt, weil ich auf ihr intuitives Verständnis absolut vertrauen kann. Michel und Herbert sind zudem im Vergleich zu Klaus und mir völlig unbelastet und können das Grundgefühl dieser Musik ganz frei interpretieren, was mir auch zeigt, wie stark die Essenz dieser Lieder immer noch ist.“. Neben der Bearbeitung dieser alten traditionellen Stücke, hat sich Wolfgang Puschnig im Rahmen seiner Solo-Karriere aber auch etlichen anderen Projekten und Kooperationen zugewandt. So wurden etwa mit dem Resetarits-Puschnig-Quintett „RP5“ jegliche Barrieren zwischen den Stilen Jazz und Pop zu bloßen Fußnoten der Musikgeschichte degradiert und mit dem koreanischen Trommlerensemble „Samul Nori“, gemeinsam mit Linda Sharrock als „Red Sun Group“, sowohl Publikum als auch Kritiker gleichermaßen begeistert.

Linda Sharrocks prägnante Lyrics sollten dann auch wichtiger Bestandteil eines Puschnig-Albums jüngerer Bauart werden. Das 2001er-Werk „Chants“ glänzt dabei anstatt durch ausufernde Improvisationen mit präzise fokussierten Kompositionen. Der Titel bezieht sich auf die ursprüngliche Bezeichnung der Lieder der Schwarzen Amerikas, die Wolfgang Puschnig zu langsamen aber dennoch zwingenden Grooves von Schlagzeug, Kontrabass und sparsamer Perkussion inspiriert haben, über denen majestätisch Vibraphon-Klänge dahin schweben. Aufkommende Assoziationen mit Siebziger Jahre Motown- und Philly-Grooves sind hier wohl nicht ganz unbeabsichtigt gewesen.

Eine andere, bis heute bestehende Formation, die in einer Übersicht zum Schaffen von Wolfgang Puschnig keinesfalls fehlen darf, ist mit Sicherheit das im Jahr 1991 anlässlich der Austria Jazz Tage Vöcklabruck gegründete Saxofonquartett mit dem bezeichnenden Namen „Saxofour“, bei dem neben der Hauptfigur dieses Porträts mit Florian Bramböck, Klaus Dickbauer und Christian Maurer drei weitere exzellente Musiker ihre Lungen in diverse Blechblasinstrumente entleeren. Unter Zuhilfenahme von Saxofonen, Klarinetten und einer Querflöte (Puschnig) lädt dieses Quartett bei jedem Auftritt zu einer musikalischen Entdeckungsreise, vornehmlich in die Gefilde des Experimentellen Jazz und der Neuen Improvisationsmusik. Weiter reichende Bekanntheit erreichte das Bläser-Ensemble zudem durch Kooperation mit der Portugiesin Maria João, einer der wohl  größten und signifikantesten Jazzstimmen Europas.

Das heißeste Eisen, das Wolfgang Puschnig momentan im Feuer hat, ist aber mit Sicherheit sein neues Projekt „Room“, das erstmals beim Jazzfestival Saalfelden 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Einmal mehr stellt der vielseitige Musiker hier unter Beweis, dass ihm nichts ferner liegt, als sich in festgelegte und unverrückbare Kategorien einzuordnen. Vielmehr öffnet er sich hier abermals unterschiedlichsten Stilrichtungen, die er in gewohnter Manier perfekt in ein buntes und vielfältiges Hörerlebnis zusammen zu führen weiß, wie auch bereits die aktuelle „Room“-Besetzung, die „Raumausstattung“ sozusagen, unterstreicht. So zählen zu Puschnigs Mitmusikern diesmal neben dem international renommierten Vokalakrobaten Eric Mingus auch der Austropop-Gitarrist Hannes Wildner sowie die Rock-Schlagzeugerin Cathie Priemer. Für Freunde ruhigerer Klänge sei an dieser Stelle aber noch angemerkt, dass es bei „Room“ wieder etwas heftiger rumpelt, als noch bei den vorhergehenden Puschnig-Projekten der letzten Jahre. Nach all diesen Jahren des Musikschaffens auf höchstem Niveau war es freilich nur eine Frage der Zeit, bis auch die ersten Auszeichnungen auf den Kaminsims gestellt werden konnten, wie etwa der Hans-Koller-Preis für den „Jazzmusiker des Jahres“ 1998 sowie der Würdigungspreis des Landes Kärnten aus dem Jahr 2003. Zudem wurde Wolfgang Puschnig 2004, als erstem Musiker überhaupt, die Ehrendoktorwürde der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt verliehen. Daraus lässt sich wohl auch der Schluss ableiten, dass sich der Stellenwert des Jazz in Österreich über die vergangenen Jahrzehnte verändert hat, was auch Wolfgang Puschnig zu bestätigen weiß. „‚Es ist alles Orsch, aber eigentlich sind wir sehr leiwand‘ – das war lange das geheime Motto des Jazz in Österreich. Tatsache ist, dass es noch nie so viele junge gute Spieler gab wie jetzt. Der Jazz als Undergroundphänomen ist längst in die Mitte der Gesellschaft gerückt.“

Dass der Jazz-Nachwuchs heute derart gut aufgestellt ist, ist wohl aber nicht zuletzt auch Wolfgang Puschnig selbst zu verdanken, der zum einen mit seinen eigenen Ensembles stets neue musikalische Pfade erschließen und damit eine Art Vorbildstellung einnehmen konnte, zum anderen aber auch als Universitätsprofessor für Saxofon an der Musikuniversität Wien (deren Institut für Popularmusik er auch vorsteht) neue Entfaltungsmöglichkeiten aufzeigen kann. Dass man aber letztendlich einen eigenen, individuellen Weg beschreiten muss, weiß wohl niemand besser als Wolfgang Puschnig selbst.

Michael Masen

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