Staatsanwälte pflanzt man nicht
09.03.2012 | 18:35 |
Hanna Kordik(Die Presse)
Staatsanwälte pflanzt man nicht
In einem
Tagebuch führte Meinl-Gutachter Fritz Kleiner Protokoll über
Beeinflussungsversuche durch den Staatsanwalt. Ein Einzelfall? Die
Beziehung zwischen Justiz und Sachverständigen ist jedenfalls eine
schwierige.
Das Werk zählt 18
DIN-A4-Seiten und findet sich im Akt zur Causa Julius Meinl. Es ist ein
Tagebuch, das im vergangenen Jahr vier Monate lang geführt wurde. Von
Fritz Kleiner, der damals als Meinl-Gutachter arbeitete. Kleiner hat
sein Mandat Ende 2011 zurückgelegt, weil er das Gefühl hatte, von der
Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt zu werden. Nicht nur zeitlich,
sondern vor allem auch inhaltlich.
Das Tagebuch enthält starken Tobak. Kleiner wollte seinerzeit wohl
für ihn Unfassbares dokumentieren. Über die Jahre hat er sich als
Sachverständiger einen Namen gemacht – bei der pleite gegangenen
BHI-Bank, der Affäre Herberstein, dem Bawag-Debakel oder dem
kollabierten Finanzkonglomerat AvW. Dann sollte er Licht ins Dunkel der
Causa Meinl bringen – bis er den Auftrag entnervt zurücklegte. „In den
35 Jahren meiner Tätigkeit als Gutachter habe ich so etwas noch nie
erlebt“, sagt er heute. Nämlich den permanenten Versuch der
Staatsanwaltschaft, seine Arbeit zu beeinflussen.
Die Aufzeichnungen beginnen am 8.Mai 2011. Da schreibt Kleiner: „Die
seit Februar 2011 völlig geänderte Tonart in unserer Zusammenarbeit
findet mich fassungslos.“ Februar 2011 – da ist Kleiner schon ein Jahr
als Meinl-Gutachter tätig. Und irgendwie scheint die ermittelnde
Staatsanwaltschaft Wien ein wenig nervös zu werden: Was wird bei
Kleiners Gutachten herauskommen? Aus dem Tagebuch geht hervor, dass die
Staatsanwälte am 23.Februar Kleiner darauf ansprechen, „dass ich meine
Gutachten gelegentlich sehr vorsichtig schreibe, gelegentlich aber
ziemlich deutliche Worte finde. Ich erkläre dies damit, dass ich in
jenen Fällen, in denen für mich der Sachverhalt nicht eindeutig klar
ist, eben vorsichtig befunden und begutachten muss.“
Das ist den Staatsanwälten offenbar zu vage. Dem Sachverständigen
werden erste „Anregungen“ gegeben. Zum vorliegenden Prüfbericht der
Nationalbank über die Meinl-Bank etwa. Kleiner wird seitens der
Staatsanwaltschaft ersucht, er solle „die ÖNB-Prüfung, wie sie im Akt
ist, nicht kritiklos übernehmen, sondern quasi eine Nachprüfung der
ÖNB-Prüfung vornehmen“. Kleiners Nachsatz zu der Episode: „Ich bin
verwirrt und bringe dies auch zum Ausdruck.“
Dann geht es – laut
Tagebuch – munter weiter. Und im Laufe der Zeit wird die Beziehung
zwischen Kleiner und dem ermittelnden Staatsanwalt Markus Fussenegger
immer konfliktreicher. Kleiner zitiert den Staatsanwalt mit den Worten:
„So kann eine Zusammenarbeit nicht funktionieren“ – wobei sich (nicht
nur für Kleiner) die Frage aufdrängt, worin eine Zusammenarbeit zwischen
Staatsanwalt und unabhängigem Gutachter eigentlich bestehen soll.
Doch der Staatsanwalt legt einen Zahn zu. Er will einen
Zwischenbericht von Kleiner, „um zu wissen, in welche Richtung ich bei
der Befundung und dem Gutachten denke“. Kleiner zitiert Fussenegger in
dem Zusammenhang wie folgt: „Ich habe keine Lust, dass ich für Sie die
nächsten zwei Jahre Kostenvorschüsse unterschreibe und am Ende dieser
Zeit eine Blackbox als Gutachten erhalte.“ „Blackbox“ soll in diesem
Zusammenhang wohl heißen: ein Œuvre mit unbekanntem Inhalt.
Womit die Sache zweifellos eskaliert ist. Weitere Tagebuchnotizen
Kleiners: „M.F. (Markus Fussenegger, Anm.) weist mich durchaus öfters
darauf hin, dass ich nicht beeinflusst werden soll. Mein Gefühl ist aber
doch, dass ich mein Gutachten mit dem der Polizei abgleichen soll, was
ich mit Sicherheit nicht tun werde.“ Und Fussenegger spricht von einem
„Vertrauensverlust gegenüber dem Sachverständigen“.
Und was sagt die Staatsanwaltschaft Wien zu der Angelegenheit? Wenig.
Sprecherin Michaela Schnell: „Wenn Kleiner meint, dass ein
strafrechtliches oder disziplinäres Fehlverhalten vorliegt, dann soll er
Anzeige erstatten.“
So weit wird es vermutlich nicht kommen. Trotzdem zeichnet das
Kleiner-Tagebuch ein eher unschönes Bild von der österreichischen
Justiz. Ein Bild, das von der reformierten Strafprozessordnung 2008
vorgegeben wurde.
Damals wurden die Untersuchungsrichter abgeschafft. Herr über die
Ermittlungsverfahren sind nunmehr die Staatsanwälte. Will heißen: Sie
bestellen die Gutachter. Und das nicht zu knapp: Mittlerweile kommt
keine Wirtschaftscausa ohne Gutachter aus. Die Staatsanwälte sind mit
der oft komplizierten Materie überfordert – und so werden die Gutachter
quasi zu Chefanklägern.
Rechtsanwalt Thomas Kralikhat damit schon
reichlich Erfahrung gesammelt – beim Bawag- und beim Libro-Verfahren:
„Die Staatsanwälte verlassen sich blind auf die Sachverständigen“, sagt
Kralik, „und in 99 Prozent der Fälle wird der Gutachter auch als
gerichtlicher Sachverständiger herangezogen.“ Nachsatz: „Man stelle sich
den Aufschrei vor, wenn dies beim Gutachter der Verteidigung passieren
würde.“
Problematisch ist diese Entwicklung, weil die Beziehung zwischen
Staatsanwälten und Gutachtern die eines Auftraggebers zu einem
Auftragnehmer ist, wie Franz Fiedler, Präsident des Beirats von
Transparency International in Österreich – und selbst einst Staatsanwalt
– meint. Anwalt Kralik: „Ich will niemandem etwas unterstellen – aber
vorauseilender Gehorsam seitens der Gutachter ist naheliegend. Sonst
gibt““s ja auch keine Aufträge mehr.“ Beziehungsweise neigen die
Staatsanwälte – siehe Meinl – offenbar dazu, ihre Erwartungshaltung auch
zum Ausdruck zu bringen.
Rechtsanwalt Jürgen Stephan Mertens findet, dass man dieses
Abhängigkeitsverhältnis rasch abstellen könnte – indem auf
internationale Gutachter zurückgegriffen wird. Doch davon ist
hierzulande keine Rede: Nach wie vor wird nur eine Handvoll
Sachverständiger in Wirtschaftsfragen zu Rate gezogen: Neben Fritz
Kleiner sind das Thomas Keppert (Yline, Amis, Bawag), Gerhard
Altenberger (Immofinanz) und Martin Geyer (Libro, Meinl). Ihre
Expertisen werden stets mit etlichen Hunderttausend Euro honoriert.
Anwalt Kralik ortet eine „wirtschaftliche Abhängigkeit“ der Gutachter
von ihren Auftraggebern. Denn: „Bei umfangreichen Gutachten kann man
nebenbei auch nichts anderes machen.“
Gutachter Kleiner hat sich gegen das System aufgelehnt. Mit allen
Konsequenzen. Und gibt sich daher keinen Illusionen hin: „Von der
Staatsanwaltschaft Wien werde ich wohl in absehbarer Zeit keinen Auftrag
mehr erhalten.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.03.2012)
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