Nachrichten aus dem Bermuda- Dreieck
Rede über Kärnten
HUBERT PATTERER
Kärnten
läuft. So lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe, den sich das Land
rechtlich hat schützen lassen. Eine Selbstbeschreibung. Trifft sie zu?
Wer nicht mehr im Land lebt,
sich ihm aber dennoch verbunden fühlt, nimmt Paradoxes wahr. Kärnten
läuft, und doch steht es auf bedrückende Weise still. Die Bewegung
erinnert an das Laufen auf einem dieser automatisierten Gummibänder in
den Fitnesscentern. Man läuft, aber man kommt nicht voran. Man will
nirgendwo hin, das aber mit hohem Puls.
Es ist nicht vorgesehen, dass
man abweicht, abbiegt, innehält, die Richtung ändert oder gar
kehrtmacht. Man bewegt sich, ohne sich von der Stelle zu bewegen.
Das einzige Ziel ist die Ermüdung.
Das ist das Bild, das den
Streit um die Kärntner Ortstafeln von außen beschreibt und damit die
Motorik des politischen Systems, das man „die Kärntner Verhältnisse“
nennt.
Die Mitglieder der Kärntner
Konsensgruppe – was für ein spröder Name für dieses wunderbare Märchen
– haben sich dem Sog und dem Diktat des Laufbandes widersetzt. Sie sind
abgesprungen. Sie haben nicht mehr mitgemacht. Sie sind aus ihren
Rollen gestiegen. Sie haben erkannt, dass sich nie etwas ändern würde,
wenn sie auf dem Laufband ihrer einzementierten Argumente, auf dem
Laufband ihrer alten Vorbehalte und des Fingerzeigs blind weiterrennen.
Sie haben Schluss gemacht mit dem Aufrechnen und Gegenrechnen.
Sie haben
sich von den Gitterstäben ihrer Denkmuster befreit und haben den Blick
geweitet. Sie haben, so sagen sie, mit den Augen des anderen denken und
fühlen gelernt. Sie haben erkannt, dass auch der andere Geschichte
schultert, Erinnerung, Erinnerungsballast, Erlittenes und Erfahrenes,
Unvernarbtes, und dass das unentwegte Wühlen und Stochern im
Vergangenen nicht heilt, nicht lindert, sondern unfrei macht und
gemeinsame Zukunft versperrt.
So haben
die ehemaligen Kontrahenten des Kärntner Heimatdienstes und der
Slowenenverbände, die einander über Jahrzehnte in ihren ideologischen
Schützengräben feindselig gegenüberstanden – und wir kennen alle ihre
früheren Depots – einen spektakulären Lern- und Wandlungsprozess
durchgemacht. Er lässt den Beobachter beglückt und staunend die Augen
reiben, so zauberhaft erscheint diese Umkehr der Falken.
Sie erzählen in Büchern und
Interviews von ihren Barrieren im Kopf, und wie sie sich im direkten,
offenen Gespräch mühevoll davon freigemacht haben. Sie leben vor, wie
Verständigung und Aussöhnung gelingen kann, ohne sich zu verleugnen.
Sie leben zivile Courage. Sie nehmen Nachteile in Kauf. Sie riskieren
etwas. Sie setzen sich aus. Sie verlassen ihre Festungen. Sie gehen ein
Wagnis ein, es ist das Wagnis der üblen Diskreditierung aus den eigenen
Reihen, hüben wie drüben.
Sie nehmen
hin, dass man sie schmäht, dass man sie des Überläufertums und des
Gesinnungsverrats bezichtigt. Aber sie bleiben unbeirrt und standhaft.
Sie halten an jenem Bekenntnis zum Dialog fest, den Friedrich Heer in
seinem Buch „Gespräch der Feinde“, bezogen auf Europa, 1949 so
eindringlich eingemahnt hat:
„ . . . die Gegensätze in fruchtbarer Spannung miteinander ringen lassen, niemals zu einer Übermachtung des Gegners kommen.“
Da sind Josef Feldner und
Marjan Sturm, Heinz Stritzl und Bernard Sadovnik schon weiter. Sie
teilen Podien und schreiben gemeinsam Manifeste. Sie leben vor, wie
eine gemeinsame Kultur des Feierns und des Erinnerns ausschauen könnte,
ohne sich über den anderen zu erheben, ohne Wunden aufzureißen, ohne
aufzutrumpfen, ohne sich als Opfer fortzuschreiben, ohne Geschichte zu
leugnen.
Sie gehen
hinaus zu den Menschen, um ihnen die Ängste und Vorurteile zu nehmen,
dort, wo sie noch immer tief sitzen und an der Wurzel behandelt werden
müssen. Diese Prediger der Vernunft sind glaubwürdig, weil sie sich
selbst die Ängste genommen haben. Sie werben für die Einsicht, dass
eine zweisprachige Ortstafel im Jahr 2009 kein okkupatorisches Symbol
mehr sein kann, kein Zeichen des Besitzergreifens, der Begierde,
sondern ein stilles Kulturdenkmal, das auf gemeinsame Wurzeln verweist,
eine Kulturtafel, wie Valentin Inzko sagt, äußeres Zeichen gemeinsamer
Identität und einer Geschwisterlichkeit, die durch die Zeitgeschichte
auf eine harte Probe gestellt worden ist.
Die
Versöhner gehen noch ein Stück weiter. Sie belassen es nicht beim
Appell. Sie gehen hinein in den Steinbruch. Sie erarbeiten für die
Politik Vorschläge und Lösungen. Sie liegen auf dem Tisch. Sie üben
sanften, aufklärerischen Druck von unten, der eigentlich von oben
kommen sollte, aber der Druck von oben ist repressiv und nicht
emanzipatorisch.
Sie sind ein Beispiel besten Bürgersinns.
Für die Herrschenden im Land
ist Konsens, der von unten kommt, etwas Unheimliches und Bedrohliches,
etwas, das ihnen nicht ins Blatt passt. Wer nicht den besseren Menschen
will, wer keine humanere Gesellschaft im Sinn hat, wer nicht eint und
zusammenführt und das als die vornehmste Aufgabe von Politik begreift,
wer im Gegenteil Vorurteile und Ängste für sein politisches Geschäft
benötigt, um daraus Kapital zu schlagen, in alter Währung, für den sind
Konsens und Verständigung etwas Subversives, ein Ärgernis, politische
Geschäftsschädigung.
Nur so ist die Niedertracht und
herablassende Ignoranz zu begreifen, mit der die hiesigen Machthaber
den Mitgliedern der Konsensgruppe begegnen, bis zum heutigen Tag.
Ausgerechnet
die, die Monate zuvor den Wappensaal des Kärntner Landtages als Kulisse
für propagandistische Wahlkampf-Fotos missbraucht hatten, verwehrten
dem Präsidium des Europäischen Parlaments, der Konsensgruppe im
Wappensaal den
Bürgerpreis der EU zu verleihen. Nur wer
„im öffentlichen Interesse“ dort hin wolle, erhalte Zutritt, da könne
ja jede Schulklasse daherkommen.
So sprachen sie.
Ein solches Konzentrat an
politischer Verstiegenheit, Anmaßung und zivilisatorischer
Selbstentblößung ist in keinem anderen Bundesland heute mehr denkbar.
Genauso wenig, wie es heute anderswo noch denkbar wäre, dass zu einer
Gedenkfeier wie jener auf dem Loibl, wo KZ-Häftlinge mit Händen den
Tunnel gruben, und wo die beiden Staatspräsidenten Sloweniens und
Österreichs der Gräuel gedenken, der Landeshauptmann unten im Tal
bleibt, wegen eines „unabkömmlichen Urlaubs“, wie das Büro mitteilte.
Es sei nicht einzusehen, dass man „jedes Mal Kränze niederlegen soll“.
In jedem
anderen Bundesland wäre auch heute Abend hier in Villach die politische
Spitze des Landes anwesend, um das Toleranz-Werk der Konsensgruppe zu
würdigen, als leuchtendes Beispiel für Bürger-Engagement, für die
Wandlungsfähigkeit des Einzelnen, für Läuterung, Selbst-Entgrenzung,
für europäisches Bewusstsein und Zivilgesellschaft.
Nicht hier.
Hier müssen
sich die Mitglieder der Konsensgruppe von der Landeshauptmann-Partei,
die sich Bündnis Zukunft nennt, als „slowenophile Zündler“ denunzieren
lassen, als gekaufte Söldner Wolfgang Schüssels, die aus niederen,
selbstsüchtigen Motiven gehandelt hätten.
Aber die infamen
Anschuldigungen treffen nicht die, gegen die sie sich richten. Sie
demaskieren die Ehrabschneider und ihre Unanständigkeit. Sie legen
deren geistige und moralische Hohlräume offen.
Auch der Kärntner
Abwehrkämpferbund empfindet die Auszeichnung durch die Stadt Villach
als Provokation, den Brückenbau der Preisträger als Zumutung. Der
Verband hat dazu aufgerufen, die seit jeher gemeinsam mit der Draustadt
durchgeführten Feiern zum 10. Oktober zu boykottieren.
Auch das: verzweifelte Entblößungen, weit draußen an den Rändern.
Welche Traditionen meinen die
Traditionsträger zu tragen? Die Tradition der damaligen Abwehrkämpfer
wohl kaum. Hätten die sich gegen ein Miteinander im eigenen Land
erhoben? Hier ist aus Mut Kleinmut geworden, schreibt der ehemalige
Chefredakteur der Kleinen Zeitung Kärnten, Heinz Stritzl.
Das hätte er früher so wohl
nicht formuliert und so wohl auch nicht durchgehen lassen, aber es ist
gut und wichtig, dass er es jetzt tut, ein schöner Fall von Weitung.
Wo nichts
mehr abzuwehren ist, dort wartet auf einen Abwehrkämpferbund keine
Aufgabe mehr. Der Verlust des Feindbildes stellt die eigene Existenz in
Frage. Hat man wegen dieser Verlust- und Legitimationsängste ein
Interesse daran, dass die Gegensätze und die Gräben in Kärnten offen
bleiben? Die Auflehnung des Abwehrkämpferbundes hat etwas Tragisches.
Man darf sprachlos mild bleiben und weiter hoffen.
Mehrheitsfähig
ist all das längst nicht mehr, genauso wenig wie es das verächtliche
Verhalten des BZÖ gegenüber den Preisträgern ist. Der erhoffte Applaus
wird ihm versagt bleiben. Der Kärntner Mainstream ist längst bei der
Vernunft und nicht mehr bei den Gestrigen. Die Menschen sind müde
geworden auf dem Laufband. Sie sind längst weiter im Denken als die
Kärntner Politik und ihre Wirklichkeit, die eine ungesühnte,
fortgesetzte Rufschädigung des Landes darstellt.
Es gibt längst ermutigende
Gegen-Wirklichkeiten. Die Gegen-Wirklichkeit der Jungen, die nach vorne
blicken, die europäisch denken und die Grenzen ziemlich uncool finden;
die Gegen-Wirklichkeit des Vulkans der Kärntner Maler und Dichter, die
Gegen-Wirklichkeit eines Florian Lipuš, eines Gustav Januš, eines
Valentin Oman, eines Josef Winkler, zu dessen Klagenfurter
Filmvorführung heuer im Sommer 600 Menschen strömten, als warte ein
Pop-Poet, wo gibt es das? Die Gegen-Wirklichkeit der Kärntner
Wirtschaft, die die Gespenster der Vergangenheit Gespenster sein ließ,
die sich früh öffnete und neue Märkte erschloss, mit einer
Leidenschaft, die bei den slowenischen Nachbarn und nicht in Kärnten
Okkupationsängste wachrief; die Gegen-Wirklichkeit der vielen Gourmets,
die das kulinarische Bermuda-Dreieck Kärnten-Slowenien-Friaul längst
als sinnliche Genuss-Oase entdeckt haben; die Gegen-Wirklichkeit des
Sports, wo Eishockey-Vereine aus Kärnten und Slowenien, in einer
mehrsprachigen Liga vereint, Woche für Woche gemeinsam dem Puck
nachjagen, senza confini.
Die Gegen-Wirklichkeit der Preisträger.
All diese Wirklichkeiten, die
in die Zukunft weisen, haben mehr Leuchtkraft als die bleierne
Wirklichkeit der Kärntner Politik, als die öde Wirklichkeit des
ermüdenden, ungelösten Ortstafelkonflikts.
Kärnten
läuft, und alles läuft in Kärnten über das Gefühl. Man spürt das in den
Liedern, die wehrlos machen, deren Melancholie vom Wissen um die
Endlichkeit des Seins erzählt, vom Leben, das geschwind uma
sei und vom Verlassensein, Bob Dylan auf Kärntnerisch, wenn Sie so
wollen. Wenn sich die Gefühlsschleusen so leicht öffnen lassen, ist das
schön, aber schön gefährlich. Man ist leichter verführbar als anderswo,
wo es nüchterner und melodieärmer zugeht. Man ist empfänglich für die,
die mit den Gefühlen spielen, und es gibt immer noch zu viele, die mit
sich spielen lassen. Das Selbstbewusstsein ist da, aber es ist brüchig.
Es schlägt schnell um in Beleidigtheit und die lässt sich, wie man
weiß, politisch instrumentalisieren und missbrauchen: gegen die
draußen; gegen Wien; gegen die Außenwelt; gegen den Rest.
Dann bricht
das Selbstbewusstsein, wird ängstlich und atmet schwer. Dann ist
plötzlich der andere, die andere Sprache ein Identitätsproblem. Dann
sucht man Zuflucht in der Abgrenzung, im Gestern, in den alten
Schützengräben. Gegen dieses leichte, rasche Kippen dessen, was man
„Kärntner Seele“ nennt, bildet die Bewusstseins- und Überzeugungsarbeit
dieser Konsensgruppe einen Schutzwall.
Er sei der Harmonie dieser Kärntner Landschaft verfallen, bekannte der Südkärntner Valentin Inzko in einem Interview in der Kleinen Zeitung,
und er weigere sich, die Hoffnung aufzugeben, dass diese Harmonie eines
Tages auch in den Menschen, die zusammenleben, ihren Niederschlag
finden wird.
Bernard
Sadovnik, Josef Feldner, Heinz Stritzl, Marjan Sturm, Stefan Karner –
diese starke, geistige Kärntner K-FOR-Truppe bringt die Hoffnung ihrer
Erfüllung ein Stück näher. Ihr Friedens- und Toleranzprojekt lädt ein,
aus dem Gefühlsschutt und den Kerkerlöchern der Vergangenheit
herauszutreten. Das ist eine kulturelle Großtat, die Respekt und
Ermutigung verdient. Das ist Kärntner Heimat-Dienst. Er führt die
Kärntner Politik vor und lässt sie im Irgendwo zurück. Er beschämt sie,
sofern sie, die Kärntner Politik, zu Scham fähig und bereit ist.
KULTURPREISTRÄGER
Die Kärntner Konsensgruppe
Sie haben einander erbittert
bekämpft, jetzt sind sie Vorkämpfer für eine Lösung im Kärntner
Ortstafelstreit – die Vertreter zweier Heimatverbände und der
slowenischen Volksgruppe. Josef Feldner, Heinz Stritzl, Marjan Sturm
und Bernard Sadovnik haben sich unter der Moderation des Historikers
Stefan Karner im Jahr 2005 miteinander versöhnt. Gemeinsam legten sie
sich auf ein Paket mit 158 Ortstafeln fest; es wurde von der Politik
verworfen. Die Stadt Villach unter Bürgermeister Helmut Manzenreiter
hat der Gruppe am Dienstag für ihre zukunftsweisende Arbeit den
Kulturpreis 2009 verliehen. Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen
Zeitung, hielt die Festrede, die wir hier veröffentlichen.
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